Interview

Nachgefragt:
Im Gespräch
mit Leo Lübke

Der Designer Gerd Lange feiert in diesem Jahr seinen Neunzigsten. Rechtzeitig zum Geburtstag legt COR den Farmer Chair von 1965 wieder auf. Leo Lübke erzählt, wie es dazu kam und weshalb er den Sessel schätzt.


Leo Lübke
Inhaber

Herr Lübke, Sie haben bei COR eine Re-Edition des Farmer Chairs und des dazu passenden Tischs von Gerd Lange aufgelegt. Beide sind, zusammen mit einem Bett und einem Schrank erstmals 1965 bei Bofinger in Stuttgart herausgekommen. War das Programm damals eigentlich ein Erfolg?

Das habe ich mich auch gefragt. Ich weiß nicht, ob es der große Renner war, aber es war über einen langen Zeitraum hinweg erfolgreich – vor allem in Künstlerkreisen, Akademikerkreisen, bei Kreativen. Die Unangepassten haben es geliebt, weil es so unprätentiös war. Einfach und doch raffiniert, das hat damals fasziniert – und das fasziniert mich heute noch. In Frankreich kam das Programm ebenfalls gut an – Gerd Lange ist ja sehr frankophil, er wohnt an der Grenze zum Elsass.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Farmer Chair wieder aufzulegen?

Das ist eine lange Geschichte. Erst einmal bin ich auf dem Möbelstück groß geworden. Meine Eltern hatten den Sessel auf der Terrasse stehen. Wir hatten ein modernes Haus, einen puristischen Bungalow mit einem innen sichtbaren Well­blechdach. Kurzum, es war sehr reduziert und streng – und dann standen auf der überdachten Terrasse diese roten Farmer Chairs. Ich fand das toll, dass man die Rückenlehne verschieben konnte – nach vorne, wenn Oma zu Besuch war, ganz nach hinten, wenn der große Onkel kam. Dieses strenge Quadratische hat so eine Ruhe ausgestrahlt, so eine Einfachheit und so eine Ange­messenheit. Solche Kindheitsbilder bekommt man ja nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwann waren die Sessel dann verschwunden – meine Mutter hatte sie verschenkt.

Und wie kamen Sie dann auf den Farmer Chair zurück?

Ich hatte lange gedacht, der Sessel, von dem ich zunächst nicht wusste, dass er „Farmer“ hieß, sei auch von Helmut Bätzner entworfen worden. Durch Zufall bin ich dann darauf gestoßen, dass er gar nicht von Bätzner, sondern von Gerd Lange stammt. Da dachte ich: Mensch, ja, Gerd Lange, der hat doch damals viel für viele namhafte deutsche und internationale Hersteller gearbeitet. Also fing ich an zu graben und zu buddeln und stellte fest: Gerd Lange lebt noch.

Wie haben Sie ihn gefunden?

Ich habe im Telefonbuch nachgeschaut – und tatsächlich, er steht in der Pfalz ganz normal im Telefonbuch. Also habe ich angerufen, seine Frau war am Apparat. Ich meinte dann, ich wolle den Farmer Chair ihres Mannes wieder auflegen. Sie antwortete: Es ist frei, das Möbel, aber eines sage ich Ihnen – wir nehmen Lizenzen! (lacht) Klar, ich will doch nichts geschenkt haben und es ist ja auch ihr gutes Recht. Dann kam er ans Telefon und fragte ganz kritisch: COR kenne ich flüchtig, wir hatten leider nie Kontakt – aber, was wollen Sie denn mit so einem Sessel aus den 1960er-Jahren?

Verständlich, COR steht ja für einen anderen Typus von Möbeln.

Ja, für üppige Schäume und sich Wohlfühlen. Es hieß ja jahrelang „COR Sitzkomfort“. Ich muss aber sagen, dass der Farmer-Sessel einen extrem hohen Sitzkomfort hat, realisiert auf eine ganz minimalistische Weise.

Der Farmer Chair war doch ursprünglich gar kein Outdoor-Möbel? Das war ein praktisches, einfaches Möbel für jede Art von Bude, für Studenten, Künstler, Kreative – Sie haben es selbst gesagt.

Für mich war er Outdoor, da ich draußen mit ihm aufgewachsen bin. Im Wohnzimmer stand natürlich COR, das war ein Sakrileg, da durften keine anderen Möbel stehen, das war ja klar. Deswegen war der Farmer für mich ein Outdoor-Möbel. Ich habe erst im Gespräch mit Gerd Lange erfahren, dass er nicht so gedacht war. Er hat den Sessel einfach gemacht, war begeistert vom Zusammenstecken. Lange vor Ikea hat er ein Mitnahme-Möbel gemacht, das war Konzept – all das hat mich begeistert. Außerdem habe ich gedacht: Wenn COR ein Outdoor-Möbel machen sollte – und die Forderung wird immer wieder an uns herangetragen – dann muss es ein Möbel sein, das aus Holz ist. Wir haben eine tolle Holzfertigung, alle unsere Grundgestelle bestehen aus massiver Buche, und mit den anfallenden Resten heizen wir unseren Betrieb sehr ökologisch. Viele Outdoor-Möbel sind heute aus Aluminium, dann kommen diese Outdoor-Schäume drum herum und so weiter. Für mich passt das nicht zu COR. Gerd Lange aber sagte: Erstens ist es kein Outdoor-Möbel, und zweitens ist der doch viel zu simpel für COR. Was wollen Sie damit? Der Stuhl ist aber ein Manifest, ein Manifest der Einfachheit, ein Manifest der Beschei­denheit. Wenn man Umweltschutz ernst nimmt und an die Verringerung von CO2 denkt, dann ist der Farmer Chair ein Statement, das exakt in die heutige Zeit passt.

Retro ist in diesem Fall Zukunft. Der Sessel ist ja in einer Zeit entstanden, in der vieles aufgebrochen ist, sich etwas in Bewegung gesetzt hat. Eigentlich ging die Nach­kriegszeit hierzulande erst in den 1960er-Jahren ganz zu Ende – auch, was das Wohnen angeht. Es wehte ein neuer Geist, man wollte anders sitzen, neue Farben und Materialien, und es entstand eine andere Designsprache. Werden solche Dinge heute wieder wichtig?

Ja, genauso sehe ich das bei diesem Möbel. Bei vielen anderen Dingen aus dieser Zeit käme ich nicht auf die Idee, sie wieder aufzulegen – aber bei dem Farmer-Sessel habe ich das Gefühl, wir brauchen so etwas. Und natürlich passt er auch zu COR – in seiner Strenge und in seiner Einfachheit. Er hat etwas von einem Rietveld-Sessel, er hat aber auch etwas Japanisches – bleibt dabei aber rein funktional. Lange wollte ja kein poetisches Design machen; er hat den Sessel funktional und handwerklich sehr raffiniert gedacht, und doch steckt auch Poesie drin. Der Knoten der Steckverbindung hat fast etwas Schmuckhaftes, ohne dass Lange ein Schmuckstück entwerfen wollte. Ich liebe Designs, die aus sich heraus entstehen, bei denen der Designer die Form freischält. Zudem ist es ein Entwurf, der leicht ist, der wenig Material verbraucht – und schon deshalb wunderbar zu den Werten passt, die wir vertreten. Ich finde, er passt sogar zur Formensprache von COR. Wir haben ja einige Archetypen wie das Trio-Programm vom Team Form AG, einfache Schaum­stoffblöcke, auf welche die Rückenlehne gelegt wird, radikal einfach. Und sehr innovativ, als es auf den Markt kam. Das gilt auch für den Farmer Chair: Die Steckverbindung ist ebenso innovativ wie das Verkaufskonzept, lange vor Ikea.

Zerlegbar, einfach mitzunehmen, kaum Verpackung, das sind Konzepte, die aus der Moderne stammen. War es leichtfertig, die Moderne als zu streng, zu formalistisch zu kritisieren? Erkennt man jetzt, wie problematisch es ist, im Design und im Marketing auf Emotionalisierung zu setzen? Muss man sich wieder stärker auf das Wesentliche konzentrieren?

Ich sehe das so, und ich sehe das für COR so. Deswegen sage ich auch – dieser Sessel ist ein Manifest. Er steht für so vieles, was wir heute brauchen. Alle finden es toll, was Greta Thunberg macht, aber kaum einer sagt: Ich hinterfrage mich selbst, wie lebe ich eigentlich, wie wohne ich? Man muss, um CO2 einzusparen, nicht gleich in Sackleinen gehen; man kann auch ohne wirkliche Entbehrungen sparsam und angemessen leben – und diese Ange­messenheit erkenne ich in Langes Sessel wieder. Das sehen wahrscheinlich viele Möbelhändler nicht sofort. Sie sagen: So einen Mini-Sessel wollt ihr jetzt verkaufen? Andere machen riesengroße Sitzlandschaften für den Garten, das hätte ich auch von COR erwartet. Dass ihr jetzt so eine schmale Kiste macht, das ist ja verrückt! Aber wenn wir nicht zu den bewährten Sachen stehen, kann auch nichts Neues entstehen. Manche Design-Ikonen stehen für eine bestimmte Epoche, der Farmer-Sessel aber hat auch heute noch eine Daseinsberechtigung.

Was gestern gut war, erweist sich im aktuellen gesellschaftlichen Kontext als innovativ. Lässt sich an Re-Editionen beobachten, dass etwas mit Verspätung den Zeitgeist treffen kann?

Wenn immer andere Neuheiten das Alte verdrängen, können sich wirklich gute Dinge nicht entwickeln. Das ist ein Dilemma, aus dem man so einfach nicht herauskommt. Es ist schade, dass sich die Möbelbranche immer mehr an die Modebranche anlehnt. Ich habe großen Respekt vor Modedesignern, nicht dass das falsch verstanden wird. Es ist eine große Leistung, dass sie jedes Jahr mehrere Kollektionen gestalten und überlegen: Was ist das Lebensgefühl? Wie wollen die Leute jetzt herumlaufen? Kleidung ist ja immer auch ein Statement. Einrichten ist auch ein Statement. Man verrät viel über sich selbst. Aber man ändert seine Einrichtung ja nicht so oft, wie man Hosen oder Jacken kauft. Ich muss in längeren Intervallen denken – und darüber machen wir uns als Möbelbranche zu wenig Gedanken.

Was denken Sie, wie wird die junge Generation auf den Sessel reagieren?

Meine Kinder finden den alle super – aber ob es ein Erfolg wird, ist schwer zu sagen. Ich bin da natürlich Gerd Lange gegenüber in der Pflicht, der einmal meinte: Wissen Sie, ich bin jetzt in einem Alter, ich will keinen Flop mehr. Aber das kann ich natürlich nicht garantieren. Der Megatrend ist ein anderer, trotz der Jugend, die sich zu Recht über die Umwelt und den Klimawandel Gedanken macht.

DIES IST EIN AUSZUG AUS DEM INTERVIEW MIT THOMAS WAGNER. KOMPLETTES INTERVIEW VERÖFFENTLICHT AM 25. JANUAR 2021 AUF ndion.de